zur Erinnerung
"Behüte Gott die DDR"

Für Sie berichtet: Tim Hofmann

Erschienen am 20.12.2019

Norbert Bischoff war der erste offen schwule Liedermacher im Osten - und veröffentlichte noch vor der Wende das erste Lied über Neonazis im real existierenden Sozialismus. Seinen 60. Geburtstag hätte er jetzt feiern können - doch er zerbrach mit dem Land, aus dem er kam.

Es war eines dieser Nicht-Radio-Stücke, die DT 64 gegen Ende der DDR trotzdem spielte: In "Er sagt, er meint es ernst" erzählte Liedermacher Norbert Bischoff von einem Kneipengespräch, in dem ein Gast beim Bier dem Faschismus huldigt. Auf der Hand hat er eine Hakenkreuz-Tätowierung:

 "Ich frage leicht erschrocken
  ist das etwa auch ein Scherz?
  doch da grinst er wieder dreckig
  und sagt, nein, das meint er völlig ernst."

Der Sprechgesang, getragen von einer schroffen Musik zwischen Kunst-Jazz, Liedermacher-Flair und dem Anflug schräger Avantgarde der "Anderen Bands", erschreckte nicht nur, weil er das Neonazi-Thema erstmals auf offiziellem Kanal aus der Tabuzone riss. Es ist vor allem der Duktus, der es auch 30 Jahre später noch so gewichtig macht: Die Begegnung, nicht seziert, nicht mahnend aufgearbeitet, leuchtet aus, wie rechtsradikale Gedanken überwintern konnten - gerade dort, wo man sie per se für erledigt erachtete.

Norbert Bischoff, wie ihn die Fotografin Ute Mahler im Booklet der postum erschienenen CD "Ich will nicht länger warten" zeigt. Norbert Bischoff, wie ihn die Fotografin Ute Mahler im Booklet der postum erschienenen CD "Ich will nicht länger warten" zeigt.
Foto: Ute Mahler/Verlagshaus Gotthard/Archiv

Es war der erste Song im Radio, mit dem sich Bischoff einem breiten Publikum vorstellte - und was hängen blieb, war vor allem das ungläubige, hilflose Entsetzen am Schluss:

 "Dabei zuckt's mir durch den Schädel!
  wieviel Jahre ist das her?!
  Großdeutschland bleib mir fern für immer
  Ich leb' doch in der - DDR!"

Im Staat einen eventuellen Verbündeten gegen faschistische Gedanken zu sehen, war in den 80er-Jahren im Kultur-Untergrund alles andere als en vogue. Der Nazi im Lied beschimpft den Ich-Erzähler dagegen für seine Gegenrede als "Kommunistensau" - ein damals durchaus gängiger Terminus: Hauptfeind war die SED. Der Chic des Antikommunismus wurde so wenig reflektiert wie die Quelle des Rechtsextremismus: Walter Cikan, Chefproduzent für Jugendmusik beim Rundfunk der DDR, wurde für "Er sagt er meint es ernst" jedenfalls zu seinem Chef zitiert, wie er sich im Buch "Rockmusik und Politik" von Peter Wicke und Lothar Müller erinnert: "Ich sagte zu ihm, dass wir dieses Lied gemacht haben, weil es Erscheinungen von Neonazismus und Rechtsradikalismus auch bei uns in wachsendem Maß gebe, dass Norbert Bischoff das Lied nach einer tatsächlichen Begebenheit geschrieben hätte und dass man zu solchen Entwicklungen nicht schweigen dürfe. Daraufhin sagte der Vorsitzende: "Wir werden dem Gegner doch nicht unsere Schwäche zeigen!"

Doch Bischoff wollte die engen Schablonen des Staates nicht gegen jene einer Fundamentalopposition eintauschen. Am 22. Dezember 1959 im brandenburgischen Meyenburg geboren, zog die Familie elf Jahre später nach Leipzig, wo er zur Musik fand: Er sang im Kinderchor von Radio DDR, parallel brachte ihm der Bruder erste Gitarrengriffe bei. Bischoff tauchte in die Leipziger Liederszene ein, zog Ende der 70er aber in ein illegal besetztes Haus nach Berlin, verweigerte sich der Arbeitspflicht und stellte ein erstes eigenes Liedermacher-Programm auf die Beine, mit dem er sich offen zu seiner Homosexualität bekannte: "Entschuldigen Sie, der Schwule bin ich" war in Szenekneipen schnell gefragt und ermöglichte ihm das Auskommen in einer Grauzone, die viele DDR-Musiker nutzten. Erst Mitte der 80er erhielt er eine Zulassung als Berufsliedermacher. Eines der erfolgreichsten Programme dabei hieß "No Mai - Lieber April", das er zusammen mit Maike Maja Nowak spielte. "Den Norbert habe ich Anfang der 80er bei einem Workshop kennengelernt", erinnert sie sich: "Abends hat er sich plötzlich ans Klavier gesetzt und losgelegt, obwohl er gar nicht spielen konnte. Ich hab mitgemacht, es klappte auf Anhieb. In ein paar Minuten hatten wir unsere erste Nummer. Daraus entstand das Programm, bei dem wir quasi die Identitäten getauscht haben. Am Ende war ich ein junger Mann, Norbert eine junge Frau. jeder hat ja eine männliche und eine weibliche Seite. Seelisch - um den sexuellen Aspekt ging es uns weniger. Norbert hat sich für wesentlich mehr interessiert als nur ‚Mauer weg'. Wichtig war ihm, was man in jedem System erlebt: Gefühle von Minderwertigkeit, Abhängigkeiten." Bischoff blieb so auch in oppositionellen Gruppen eine sperrige Figur.

Seine Lieder waren so wenig rein politisch wie sein schwules Programm rein schwul war. Er ging mit nichts hausieren. Nowak: "Norbert war mal bedrückt, weil einer aus dem Publikum zu ihm kam und meinte: ‚Du warst ja nicht mal in Haft!' Für das Publikum war das damals was, wenn man wegen eines Liedes im Gefängnis saß." Damals wusste Bischoff laut Nowak bereits um seine manisch-depressive Veranlagung: "Er war entweder total gelähmt, oder er hat gesprudelt. Er war dann sehr druckvoll emotional. Wenn was raus musste, dann knallte das raus."

Ab Mitte der 80er arbeitete Bischoff daran, eine Band aufzustellen, doch die Versuche scheiterten - bis er bei einem Workshop den Bassisten Lexa Thomas kennenlernte, einen Profimusiker, Bandleader und Komponisten, der 1988 die erste Gerhard-Gundermann-LP "Männer, Frauen und Maschinen" produziert hatte. Es öffneten sich die Amiga-Studios: Thomas begann mit dem Gitarristen Bert Wrede ausgefeilte Stücke für eine erste Bischoff-LP zu erarbeiten: "Norbert gefiel mir sofort. Er hatte großartige Ideen und hat total gebrannt", so Lexa Thomas. Die Arbeiten fielen in die Wendezeit, unter dem Titel "Zwischen Bett und Barrikade" kam die Platte erst 1991 auf den Markt. Die Version von "Er sagt er meint es ernst" ist dabei eine andere als die aus dem DDR-Radio:

 "Dabei zuckts mir durch den Schädel
  wieviel Jahre ist das her?
  Großdeutschland bleib mir fern für immer
  behüte Gott die DDR",
sang er jetzt. Für ihn sah der Umschwung eher danach aus, dass die alte Norm durch eine neue Enge ersetzt werden sollte.

"Die Platte war eine große Sache für Norbert", sagt Janine Peters, eine seiner engsten Freundinnen, der er den Song "Nine (Leben und leben lassen)" schrieb: "Er war ein sehr auf-merksamer, freundlicher, außergewöhnlicher Mensch. Aber er war auch nicht schnell zufriedenzustellen. Jeden Abend hat er die Texte verändert. Er hatte einen hohen Anspruch an sich selbst." Diesem fiel die erste gepresste Version seiner LP zum Opfer: Er ließ sie in den Schredder werfen. Lexa Thomas dürfte einer der wenigen Menschen sein, die noch ein Exemplar besitzen: Für die finale Version, die auf dem Label Zong erschien und heute nur auf dem Gebrauchtmarkt zu finden ist, versuchte Bischoff, seinen vielleicht wichtigsten Song für die neuen deutschen Verhältnisse anzupassen - das "Behüte Gott die DDR" wurde getilgt:

 "und ich werde totenbleich
  Großdeutschland bleib mir fern für immer
  behüt uns Gott vorm Vierten Reich"
heißt es nun. Und aus der "Kommunistensau" ist eine "abgefuckt linke Sau" geworden.

Wer in der Wendezeit von einem alternativen Weg träumte, abseits von DDR und BRD, konnte schnell im Nichts landen. Manchen half Trotz: "Nine wo du auftauchst / bist du nicht zu übersehen! doch so viele Kohlkopfidioten wollen dich nicht verstehen / und manchmal trifft dich ihre Eifersucht wie ein harter Stein! dass du halt anders bist können sie dir nicht verzeihn", singt Bischoff in "Nine" für Peters. Andere, wie Maike Maja Nowak, wählten die Flucht: Sie ging für sieben Jahre in ein russisches Dorf, abgekapselt von der Welt. Dabei kam sie mit wilden Hunden in Kontakt, heute ist Nowak Hundetrainerin, als solche bekannt wurde sie ab 2013 durch die ZDF-Serie "Die Hundeflüsterin".

Norbert Bischoff sollte sie 1993 bei der Eröffnung eines Cafés wiedersehen, das er in Berlin aufziehen wollte: "Er wollte, dass ich dort singe, das war lange geplant. Doch als ich ankam, hing von ihm nur noch ein Bild mit schwarzer Schleife an der Wand." Norbert Bischoff wählte am 9. November 1993 den Freitod. "Lösungen sind nicht in Sicht ... das rechte Datum zu verschwinden, für einen Deutschen" schrieb er zum Abschied. "Es kam vollkommen unerwartet, aus dem Nichts", sagt Janine Peters: "Es ging ihm gut zu der Zeit. Er hatte daran gearbeitet, ein Hildegard-Knef-Festival zu organisieren, war mit Frau Knef und ihrem Mann in Kontakt, hatte verschiedene Sänger angesprochen. Aber ein Leben zu erhalten, egal zu welcher Zeit, ist manchmal nicht einfach."

"Seine Texte in großer, komplexer Musik, mit Band - das Album war immer sein Traum gewesen. Er wollte was bieten, das auch der Westen wollte. Es wollte nur keiner. Liedermacher - es war plötzlich, als hätte es den Beruf nie gegeben", sagt Nowak: "Vom einen auf den anderen Tag war unsere Identität weg. Ist es nicht auch nachzuvollziehen, dass sich jemand nicht umorientieren will, wenn er von außen umorientiert wird?"


Quelle: FP vom 20.12.2019


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